Schwarmprozess als Varroakiller
Im Schwarmprozess durchlaufen alle neuen Volkseinheiten – Vorschwarm, Nachschwärme und Restmuttervolk – eine mehr oder weniger lange brutfreie Periode. Dadurch wird die Milbenbelastung beträchtlich reduziert. Der USamerikanische Bienenwissenschaftler Thomas Seeley hat das Verhalten von Völkern in kleinen und grossen Beutensystemen verglichen. Wie zu erwarten war, schwärmten die Völker in der kleinen Behausung mit etwa 40 Litern viermal häufiger als in der grossen mit ungefähr 160 Litern. In der Folge verringert sich die Milbenzahl auf den Bienen um das Dreifache. Schäden durch das Flügeldeformationsvirus wurden nur bei Bienen in der grossen Beute beobachtet. Die Auswinterungsverluste ohne Behandlung der Völker lagen in kleinen Beuten bei 30 Prozent, in den grossen dagegen bei über 80 Prozent.
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In unserer Versuchsimkerei haben wir in einem Experiment mit zehn Völkern die Zahl der Milben im Vorschwarm, bzw. im Flugling, und im Restmuttervolk, bzw. im Brutling, ermittelt. Im ersten Fall werden im Durchschnitt nur sechs Prozent aller Milben aus dem Volk exportiert. In der über zwei Wochen dauernden brutfreien Zeit fallen beim Restvolk oder Brutling durchschnittlich 60 Prozent der Milben auf die Unterlage. Und schliesslich haben wir in einem Varroatoleranzprojekt beobachtet, dass Völker auf eine grosse Milbenbelastung mit Notschwärmen ausserhalb der Schwarmzeit oder mit stiller Umweiselung reagieren. Schwärmen ist also die beste Hygienemassnahme der Bienenvölker. Es ist daher nicht verwunderlich, dass alle biotechnischen Methoden zur Milbenkontrolle – Kunstschwarm, Bannwabenverfahren und Käfigen der Königin – immer eine Brutunterbrechung herbeiführen. Wer mit diesen Methoden gearbeitet hat weiss, wie zeitaufwändig sie sind. Deshalb lohnt es sich zu überlegen, die Jungvölkerbildung nicht über Ableger, sondern mit schwarmbereiten Völkern durchzuführen. Wie das vor sich geht, beschreiben wir in einer späteren Monatsbetrachtung.
Naturbau als Antibiotikum
Der Naturbau des Wabenwerks wird in der konventionellen Betriebsweise kritisch gesehen. Es gibt Imker, die sogar bezweifeln, dass die Bienen überhaupt in der Lage sind, Waben mit Arbeiterinnenzellen zu bauen. Sie haben den Naturbau bisher nur im DrohnenBaurahmen gesehen. Darüber hinaus verzichten diese Imker oft ungern auf die 6 bis 8 kg Honig, die von den Völkern manchmal für die Produktion des Wachses aufgewendet werden müssen, welches sonst über die Mittelwände ins Volk kommt. Doch schauen wir genauer hin. Im sprichwörtlichen Baufieber „schwitzen“ sich die Völker gesund. Sie können sich durch den Bau frischer, reiner Waben von Sporen der Faulbrut und Bakterien der Sauerbrut befreien.
Versucht nicht, varroatolerante Völker zu züchten. Entwickelt die vorhandenen Völker weiter.
Deshalb kann ein leichter Befall durch das Kunstschwarmverfahren mit anschliessendem Naturwabenbau saniert werden. Das Prinzip dabei ist, symptomfreie, wahrscheinlich aber schon infizierte Völker am Stand noch zu retten, indem man sie aus den alten Beuten samt Waben entfernt. Sie werden in saubere und keimfreie Beuten umlogiert, wo sie ihr gesamtes Wabenwerk neu aufbauen können. Eine Garantie gibt es nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, mit dieser Methode einen erneuten Ausbruch der Krankheit zu verhindern, ist sehr hoch. Ein anderer wichtiger Aspekt, der für den Naturbau spricht, ist die Belastung von Wachs mit Pestiziden und Fungiziden. In der wesensgemässen Bienenhaltung existiert der geschlossene Wachskreislauf nicht. Für Leitstreifen am Oberträger, die den korrekten Bau der Waben in den Rähmchen sicherstellen, und für Honigraumwaben dürfen zwar Mittelwände verwendet werden. Die DemeterRichtlinien verlangen aber, dass dafür nur Wachs aus Naturbau oder Deckelwachs verwendet wird. So wird sichergestellt, dass das Wachs nur ein einziges Mal umgearbeitet wird. Das Wabenwerk ist nicht nur die Chronik des Bienenvolkes, in der alle stockeigenen Düfte eingelagert werden. Weil alle fettlöslichen Gifte ebenfalls im Wachs landen, ist sie auch die Chronik vieler Varroabekämpfungsmittel und des Pestizideinsatzes der modernen Landwirtschaft. Der Abbau dieser Substanzen dauert extrem lange. Deshalb häufen sie sich bei geschlossenem Wachskreislauf an. Es ist eine traurige Tatsache, dass DDT, das in Deutschland bereits 1972 verboten wurde, heute noch im Wachs einiger Betriebe nachgewiesen werden kann. Mit dem offenen Wachskreislauf in der biodynamischen Betriebsweise ist die Belastung bedeutend geringer. Auch Wolfgang Ritter hat in bienen&natur im Oktober 2017 empfohlen, für die Herstellung von Mittelwänden keine Altwaben aus Mittelwänden, sondern ausschliesslich Entdeckelungswachs, Wachs aus Baurahmen oder «Wildbau» zu verwenden.
KURZ ERKLÄRT
Flugling und Brutling
Beide werden auch «Zwischenableger» genannt und dienen dazu, das Schwärmen zu verhindern oder «vorwegzunehmen». Im Prinzip trennt man die Flugbienen mit der Königin von der Brut: Bei gutem Flugwetter wird die alte Beute umgestellt und an ihrer Stelle eine neue Beute mit Leitstreifen, Mittelwänden oder Leer- und Futterwaben aufgestellt. Alle Sammel- bzw. Flugbienen kehren in spätestens zwei Tagen in die neue Beute zurück. Das ist der Flugling. Im Brutling, das ist die alte Beute mit den Stockbienen und der Brut, wird eine neue Königin aufgezogen.
Künstliche Zucht oder Standbegattung?
Vor drei Jahren hatten wir bei Mellifera eine Gruppe von 50 Studierenden und einem Professor der Uni Hohenheim zu Besuch. Wir öffneten viele Beuten, zogen Waben und fachsimpelten über die Brutnestorganisation, den Naturwabenbau und die Honigvorräte – jeder von uns ohne Schleier und ohne einen einzigen Stich. «Wie züchten Sie?» wurde ich gefragt. Der Bienenwissenschaftler konnte kaum glauben, dass sich in einer Imkerei mit Standbegattung die Sanftmut auf einem Niveau halten konnte, wie er es mit einer gezielten jahrelangen Züchtung nicht erreicht hatte.
Diese Geschichte illustriert ein Problem, das in der Wissenschaft auch als «nature or nurture» bezeichnet wird. Welche Eigenschaften unserer Bienenvölker sind genetisch, also natürlich oder «by nature», und welche sind durch die Umwelt und den Standort bedingt, also durch «Hege und Pflege» oder «by nurture» entstanden? Und wie können diese Einflussfaktoren voneinander unterschieden werden? Unsere Antworten lassen die künstliche Königinnenzucht in einem kritischen Licht erscheinen. Bereits 1976 untersuchte Friedrich Ruttner, zuletzt Leiter des Bieneninstitutes in Oberursel, zusammen mit seinem Bruder Hans, den Brutumfang von Völkern aus einer CarnicaReinzucht und einer Buckfast Linie auf zwei verschiedenen Standorten. Zu ihrem grossen Erstaunen zeigten sich Unterschiede nicht zwischen den beiden Rassen, sondern zwischen den Standorten. Die Wirkung der Umwelteinflüsse (nurture) ist hier also stärker als die der Genetik. Wille und Gerig vom Schweizerischen Zentrum für Bienenforschung in Liebefeld kamen zu demselben Schluss.
In einem Vergleich von Nigra und CarnicaVölkern an sechs verschiedenen Standorten zeigten sich bei Volksgrösse, Brutumfang und Honigertrag keine Unterschiede zwischen den beiden Linien, jedoch grosse zwischen den verschiedenen Orten. Die Bedeutung des Standortes wird hier überdeutlich. Überraschend ist ausserdem, dass sich bei Standbegattung die Völker über mehrere Generationen durchaus genetisch an den Ort anpassen: Das konnte in einem grossen Versuch mit 621 Völkern und fünf Bienenrassen auf 21 Bienenständen in elf Ländern vom Forschungskonsortium COLOSS gezeigt werden.
Die angepassten Völker kamen dort ohne Bekämpfung der Varroa besser mit der Milbe zurecht als Völker, die mit fremden Königinnen gebildet wurden. Sie überlebten besser, waren sanftmütiger und trugen tendenziell mehr Honig ein. Erstaunlich ist auch, dass die Anpassung wichtiger war als die Bienenrasse. So waren z. B. auf Sizilien angepasste Carnica Völker vitaler als nichtangepasste, aber «einheimische» Ligustica Völker. So klar die Ergebnisse sind, so rätselhaft sind ihre Ursachen. Was Anpassung an den Standort genau beinhaltet, wissen wir bis heute nicht genau. Ist es Temperatur oder Klima, sind es die Trachtverhältnisse oder schlichtweg die Tatsache, dass sich die Völker im Flugradius «kennen»? Wie auch immer – eins zu null für die Standbegattung.
Und noch in einer weiteren Eigenschaft unterscheiden sich standbegattete Völker von künstlich gezüchteten: Die genetische Vielfalt der Arbeiterinnen ist unterschiedlich. Das hängt mit der Mehrfachbegattung zusammen. Die genetische Vielfalt von Drohnen auf einem natürlichen Sammelplatz ist viel grösser als die auf einer Belegstelle. In der Schweiz wurden auf einem solchen Platz Drohnen von 240 verschiedenen Herkünften gefunden. Auf Belegstellen dagegen fliegen Männchen von fünf oder weniger Völkern. Auch hier sprechen Vergleiche eine klare Sprache: Je mehr Drohnen eine Königin begattet haben, umso besser sind die daraus entstehenden Völker: Mit der Zahl der Drohnenväter werden Volk, Brutnest und Wabenflächen grösser, die Arbeiterinnen sammeln eifriger und tragen mehr Pollen ein, Trachtquellen werden mit einem intensiveren Schwänzeltanz angezeigt, das Stockklima wird genauer reguliert und die Völker überleben besser. Mit der Vielfalt der Väter reagieren die Völker nachweislich auch weniger empfindlich auf verschiedene Krankheiten, wie etwa die Amerikanische Faulbrut, Sauerbrut, Kalkbrut und Sackbrut. Zwei zu null für die Standbegattung.
Varroatoleranz durch Standbegattung
Anstelle aufwendiger Resistenz oder Leistungszüchtungen auf ortsfremden Stationen durchzuführen, wäre es unserer Ansicht nach deshalb zielführender, mit gesunden und starken Völkern aus der Standbegattung zu arbeiten. Diese Empfehlung trifft nicht zuletzt auch ganz besonders für die Entwicklung von varroatoleranten bzw. varroaresistenten Völkern zu. Gibt man Bienenvölkern die Gelegenheit, selbst ein Zusammenleben mit den Milben zu entwickeln, schaffen sie das auch in wenigen Jahren. So ist es auf Gotland, in Avignon, in Wales, im schweizerischen Emmental, in den Niederlanden und Norwegen geschehen. Standortangepasste Königinnen sind bei allen toleranten oder resistenten Völkern die Regel. Faktoren wie Völkergrösse, Völkerdichte, Trachtentwicklung, Rasse und imkerliche Massnahmen sind dagegen an den verschiedenen Orten unterschiedlich. Vor diesem Hintergrund darf man fragen, ob die jahrzehntelangen Züchtungsprogramme, die in vielen Bienenforschungsinstituten in Europa laufen, wirklich zielführend sind. Zumindest haben sie bis heute nur geringe Erfolge gezeigt. Unser Aufruf an die Institute heisst: Versucht nicht, varroatolerante oder resistente Völker zu züchten, sondern entwickelt die vorhandenen Völker weiter!
Quelle bienen & natur
Autoren: Norbert Poeplau / Dr. Johannes Wirz