Die Bayern wollen die Bienen retten
Ein Volksbegehren setzt die Regierung unter Druck, sich für einen griffigen Artenschutz einzusetzen
Mehr als 1,7 Millionen Menschen standen in den letzten zwei Wochen teilweise bei Regen und Schneetreiben eine Stunde oder länger vor den bayrischen Rathäusern an, um für mehr Artenschutz und eine andere Landwirtschaft zu votieren. Das von der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) initiierte und von einer breiten Allianz aus Grünen, Imkern, Forschern, Biobauern, Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen unterstützte Volksbegehren «Artenvielfalt – Rettet die Bienen» war ein wuchtiger und in diesem Ausmass selbst für die Initiatoren unerwarteter Erfolg. Mehr als 18 Prozent der Wahlberechtigten (nötig gewesen wären 10 Prozent) haben unterschrieben. Es ist damit das erfolgreichste Volksbegehren Bayerns.
[In der Blog-Übersicht wird hier ein Weiterlesen-Link angezeigt]
Um den Artenschwund zu stoppen, sollen gemäss dem Initiativtext zum Beispiel weniger Pestizide eingesetzt werden dürfen, auf staatlichen Flächen gar keine mehr. Ausserdem müssen Blühstreifen von mindestens fünf Metern Breite an Gewässern erhalten bleiben – das ist übrigens in allen Bundesländern ausser Bayern bereits Pflicht –, ebenso Büsche und Gehölze an Feldrändern. Im Weiteren verlangt die Initiative, dass bis 2030 ein Drittel der Fläche biologisch bewirtschaftet und 10 Prozent der Wiesen in Blühwiesen umgewandelt werden müssen.
Der Erfolg des Volksbegehrens liegt weniger an den angeführten dramatischen Zahlen: 73 Prozent aller Tagfalter sowie Fluginsekten insgesamt und die Hälfte der Vogelarten seien in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten verschwunden, so heisst es. Doch viel wichtiger für den Erfolg des Begehrens als diese ja keineswegs neuen Daten ist die Tatsache, dass die Menschen den Schwund seit kurzem auch wirklich bemerken. Und zwar in der Stadt wie auf dem Land. So richtig aufgeschreckt wurde die Bevölkerung durch eine Mitteilung der Krefelder Entomologischen Gesellschaft 2017, die einen Insektenrückgang von 75 Prozent seit 1989 in ihren Spezialfallen feststellte. Daraufhin stellten viele Menschen fest: statt durch bunte Blumenwiesen fährt man durch eintönige Maisfelder – auch in Bayern mit seiner nach wie vor relativ kleinparzelligen Landwirtschaft.
Als Verursacher der Misere gilt nicht nur in den Augen der städtischen Ökohipster vor allem die heutige industrielle Landwirtschaft. Auch Wissenschafter beteuern, dass die Bauern mit viel Pestiziden und Herbiziden zu «saubere» Äcker herrichten und sie durch grosse, uniforme und somit einfach zu bewirtschaftende Flächen keinen Platz mehr für Wildblumen, Büsche, Bäume oder Steinansammlungen übrig lassen.
Fast alle der Forderungen des Volksbegehrens zielen daher auf Veränderungen der landwirtschaftlichen Praxis. Dementsprechend erbost reagierten Vertreter der konventionell wirtschaftenden Bauern. Sie warnten vor massiven Einkommenseinbussen und einem weiteren Bauernhofsterben, sollte das Volksbegehren umgesetzt werden..
Wie der Bauernverband widersetzte sich vor dem Start des Volksbegehrens auch die bayrische Staatsregierung den Forderungen. Doch als nach der ersten Woche der Unterschriftensammlung der Erfolg absehbar war, kündigte Ministerpräsident Markus Söder umgehend für kommende Woche einen runden Tisch mit allen auf irgendeine Weise Beteiligten an. Denn Söder, der noch letztes Jahr für eine Skischaukel in einem Naturschutzgebiet den Weg frei machte, weiss, dass auch die Sorge um die Natur den Grünen bei der letzten Landtagswahl ein Traumergebnis von knapp 18 Prozent bescherte. Söder kann es sich nicht leisten, nach der Wahlschlappe seiner CSU weiterhin nur als Vertreter von Beton und Bauern statt Bienen und Blumen dazustehen.
Es ist allerdings völlig unklar, wie Söder seinen Anspruch, «Bienen und Bauern zu retten», umsetzen will. Mit dem Super-Ergebnis im Rücken haben die Initiatoren des Volksbegehrens bereits angekündigt, auf gar keinen Fall ihre im Text festgehaltenen Forderungen abzuspecken.
Der Initiativtext muss nun vom Landtag beraten werden. Entweder wird er dort als Gesetz bereits angenommen, oder es wird spätestens im Oktober einen Volksentscheid darüber geben. Dann kann die Landesregierung eine eigene Variante dagegenstellen. Es könnte sein, dass die Politiker dem klar geäusserten Wunsch der Bevölkerung nach einer Änderung der landwirtschaftlichen Praxis Gehör schenken, schon aus Eigennutz.
Quelle: NZZ-E-Paper [15.02.19]